Nichts desto trotz haben die oft akrobatischen Handlungen, die farbenprächtigen Kostüme, sie stammen meist alle aus der Ming-Zeit und vor allem die kunstvollen Masken für mich genug Anreiz, mir immer wieder eine solche Aufführung anzuschauen, sofern denn nur ein entsprechendes Ensemble in Deutschland gastiert.

Ein besonderes Erlebnis ist allerdings der Besuch einer Vorstellung im Lande selbst. Alleine die Reaktionen des Publikums sind äußerst interessant zu beobachten. Alles harrt gespannt auf jede Szene und beobachtet jede kleinste Bewegung der Akteure mir Argusaugen. Da braust frenetischer Beifall an Stellen auf, da frag ich mich warum? Dagegen reißt eine wirklich spektakuläre akrobatische Einlage die Ausländer zu wahren Beifallsstürmen hin - aber die Chinesen rühren kaum einen Finger. Etwas später läuft ein alter Mann auf der Bühne im Kreis herum und schüttelt dabei ständig den Kopf. Das veranlaßt die Chinesen zu spontanem Beifall und bewundernden Ausrufen. Die Texte werden per Lichtschrift an die Theaterwand geworfen, damit wirklich jeder weiß, worum es geht, denn die Schrift ist im Gegensatz zur Sprache, in ganz China einheitlich.


Ein Himmlischer Kaiser in seiner ganzen Pracht.


Der Affengott
oder auch Affenkönig

Meine Lieblingsfigur in der Peking Oper. Er stiftet immer wieder Unruhe und reizt seine Gott-Kollegen (Meeresgott, Feuergott etc.). Wenn er sich dann verteidigen muß, kann er sich immer mit seinen übernatürliche Kräften aus den prekärsten Situationen befreien.


Die Schminkmaske des Affengott.

Schminkmasken-Beispiele

Es gibt hunderte Schminkmasken in der Peking Oper. Jede einzelne sagt mehr über die Bühenfigur aus, als irgendeine verbale Beschreibung. Im Moment des Auftritts erkennt das Publikum den Verräter oder Tugendhaften, den wilden Kämpfer oder Dämon.



Beispiel für eine definierte Schminkmaske:
Elsternflügel-Gesicht Meng Liang, General der Nördlichen Song-Dynastie. Die Elsternflübelform um die Augen weist auf lebhaftes Temperament sowie seine vogelgleiche, kaum einzuschränkende “Schnatterei” hin.


Die Peking Oper ist eine über mehrere Jahrhunderte alte traditionelle chinesische Theaterform. In manchen Büchern ist sogar nachzulesen, daß die allerersten Ursprünge auf rituelle Tänze und Gesänge aus der Zhou-Zeit (11.Jh. - 249 v.Chr.) zurückzuführen sind. Jedoch die heute als "Peking Oper" bekannte Form hat sich erst im Laufe der Ming- (1368-1644) und der Qing-Zeit (1644-1911) herausgebildet. In dieser Zeit haben sich verschiedene regionale Stile entwickelt, wovon die Art aus der Hauptstadt des Riesenreiches zu größtem Ruhm gelangt ist. Gleichwohl ruft diese Kunstgattung bei manchen Europäern gewisse Ressentiments hervor - mag es an der ungewohnt klingenden Musik, der nicht verstandenen Sprache oder der Stimmlage der Sänger liegen - Peking Oper ist sicher nicht jedermann Sache.




Die Schwester eines Bösewichts versucht ihren Bruder mit ihren Soldaten zu befreien. Vergeblich - sie wird sterben.


Eintritskarte von meinem letzten Opernbesuch in Deutschland


Wer in festlicher Abendgarderobe in die Oper geht, läuft Gefahr, daß er mehr Aufmerksamkeit erregt, als die Akteure auf der Bühne. Normale Freizeitkleidung oder Straßenanzüge sind angesagt.

Bereits die Titel der Aufführungen machen Neugierig. Was kann man sich nicht alles unter Stücken wie: “Die Verwüstung des Himmels”, “ Der Abschied von der Konkubine”, “Die Suche nach der goldenen Schildkröte”, “Die Perle auf der Regenbogenbrücke” oder “Der Feuergott versperrt den Weg” vorstellen! Die Handlungen sind oft Legenden oder geschichtliche Ereignisse. Es geht fast immer um Loyalität, Liebe, Täuschung, Verrat und Eifersucht – Verhaltensweisen aus dem täglichen Leben also. Eins ist allerdings immer klar: Die Guten siegen, die Bösen scheitern! Damit hat die Peking Oper auch einen hohen erzieherischen Wert.

Die Stücke einer Vorstellung müssen nicht unbedingt in einem Zusammenhang stehen. Da hat die Peking Oper durchaus Parallelen zu einem klassischen, westlichen Konzert. Wer große Bühnenbilder erwartet, ist hier total fehl am Platz. Die Peking Oper lebt von der Phantasie der Zuschauer: So symbolisieren vielleicht 5 Damen, die je ein Quadratmeter großes blaues Tuch in wellenförmige Bewegungen versetzten, das Meer, oder ein Mann mit einer Standarte symbolisiert 10.000 Krieger, Ein Tisch kann ein Berg sein, oder ein Stuhl auf einem Tisch der kaiserliche Thron.
Die Tücher im Hintergrund symbolisieren das Meer

Die Charaktere bestimmen sich aus ihrem Aussehen und jeder operninteressierte Chinesen kann anhand der Kleidung und insbesondere der Gesichtsbemalung den Charakter des Dargestellten entschlüsseln. So sind rote Gesichter warmherzige, mutige, loyale Personen. Sie charakterisiert immer die zutiefst anständigen und guten Personen. Mit zunehmenden Alter wird die Rottönung dunkler und damit schwächer. Schwarz im Gesicht drückt Strenge, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit aus. Blau ist ein Zeichen von Grausamkeit. Vor weißen Gesichtern muß man sich in acht nehmen: Sie kennzeichnen schlaue, listige, ja heuchlerische Menschen, sie ist die typische Farbe für Verräter. Geister erscheinen stets in Grün und Götter und Kaiser gibt es nur in Gold, übernatürliche Wesen tragen auch schon mal Silber. Wenig geschminkte Gesichter stellen meist das einfache Volk dar, wogegen Krieger und kämpfende Generäle oder vielschichtige, unberechenbare Charaktere äußerst phantasievolle Gesichtsbemalungen tragen.


Weidenbaumgott - Gesicht
Die grüne Färbung, vornehmlich der unteren Gesichtshälfte,weist auf seine Hauptaufgabe, die Beseelung von Bäumen hin. Über die Stirn erstreckt sich das Gold und die Flamme des Göttlichen.

Reichtumsgott - Zhao Gongming
Oberster Gott, Gott des Reichtums. Zu den üblichen Symbolen des göttlichen wie das Gold und die Flamme kommt das dritte Auge auf der Stirn als Zeichen der Allwissenheit hinzu. Alle Symbole zusammen und das Gold in Münzform weisen ihn als den Gott des Reichtums aus.

Weißgesicht
Die Konzentration aller negativen Charakterzüge, z.B. skrupellos und hinterlistig, werden durch die weiße Gesichtsfarbe und die Auszeichnung seiner Augen in Form eines geleichschenkeligen Dreiecks ausgedrückt. Der rote Fleck in der Gesichtsbemalung dient als Kontrast und weist den Träger gleichzeitig als erfolgreichen Mann aus.

Die Spirale auf der Stirn deutet an, daß der so Gekennzeichnete eigentlich zum Kaiser bestimmt war. Der flügelförmige Rest der Augenbrauen trennt die Stirn vom unteren, "entstellten" Gesichtsteil. Diese Verunzierung stellen erlittene Kampfspuren dar. Unter den Augen sind noch die Krallenspuren eines Bären erkennbar.

Dou Erdun
Positiv durchstilisierter Räuber des späten 17. Jahrhunderts. Die vorherrschende blaue Gesichtsfarbe symbolisiert Draufgängertum. Mit den rot-gelben Augenbrauen und den schwarzen Augenflächen ergibt sich ein beeindruckendes Ganzes.

Donnergott
Im Himmel verantwortlich für Gewitter. Es wurde nicht an Kuriositäten gespart: Der Mund in Form zweier Vogelflügel, die Nase als Schnabel ausgebildet, die doppelten Augenbrauen als Feder und rot-schwarze Wellenlinien. Die goldenen Sonne auf der Stirn weist ihn als ein himmlisches Wesen aus.


Mimik und Gestik

Ein weiteres starkes Ausdrucksmittel ist die Gestik und Mimik. Jede Handbewegung, jeder Griff an den Bart, das aufschlagen der Ärmel, das Setzen eines Fußes in einer ganz bestimmten Art, all das ist seit Jahrhunderten genau vorgeschrieben und jeder Chinese weiß sofort was es bedeutet. Hebt er z.B. eine Peitsche, so bedeutet es, daß er reitet, geht er einmal im Kreis, legt er eine lange Wegstrecke zurück, ein Ruder deutet eine Bootsfahrt an. Chinesen gehen in die Oper, weil sie einen bestimmten Darsteller sehen wollen. Sie erkenne sofort die Feinheiten, die besonderen Fähigkeiten, die ein Akteur hat und bewundern so die Leistung der Schauspieler.
Über allem, wie sollte es in einer Oper auch anders sein, steht natürlich der Gesang. Hier gibt es ebenfalls feine Unterschiede: Zum einen den orchesterbegleiteten Gesang, rhythmisches oder melodisches Sprechen als Dialog und musikalisches Rufen, Seufzen, Lachen und sogar Husten.


Handstellungen


Die Darstellerin Dan hält die Hand so, wenn sie Unsicherheit ausdrücken will Die Akteure Shen und Jing zeigen so an, dass eine Situatin aussichtslos ist.

Geste der Verteidigung, wird erschwert durch das Drehen des Kopfes nach rechts. Agieren beide Hände gemeinsam, müssen sie in einem Abstand von etwa 4 cm voneinander gehalten werden. Zeigt den Beginn einer komplexen Bewegung, die Verteidigung ausdrückt.


Die unterschiedlichen Rollen in der Peking-Oper

Es gibt insgesamt 4 Rollenkategorien:

1. Sheng = Männerrollen
Die Männerrollen sind die wichtigsten und fordern die unterschiedlichsten Gesangsqualitäten. Sie sind wiederum in 4 Grundkategorien eingeteilt:

    “Lao Sheng” ist die Rolle der alten Männer und der Männer mit Bärten. Zu ihnen gehören so markante Typen wie die Mandarine, die Beamten, die Edlen oder die Generäle im Ruhestand. Der Interpret muß sich mit pedantischer Präzision ausdrücken und seine Gesten müssen von großer Würde und Huld erfüllt sein.

    “Xiao Sheng” sind die jungen Männer ohne Bärte. Sie sind normalerweise gebildet und anspruchsvoll. Der Gesang der bunt bemalten, zivilen Charaktere ist charakterisiert durch eine verstärkt Kehlkopfstimme (Fistelstimme), die immer auf den hohen Noten gehalten wird. Dies soll sein junges Alter andeuten.

    “Wen Sheng” ist die zivile Rolle und verlangt Darsteller, die besonders die Aussprache und den Gesang beherrschen. Der Interpret muß in der Lage sein, all die vielen in der Peking Oper verwendeten Gesangsstile zu meistern. Das verlangt den sicheren Umgang mit hohen und tiefen Noten.

    “Wu Sheng” ist die militärische Rolle. Sie erfordert eine genaue Vorbereitung der Akrobatik. Die Darstellung der Kriegskünste verlangt klare, brüske Bewegungen und große Präzision in der Ausdrucksweise. Militärische Darsteller brauchen oft gar nicht zu singen, müssen dafür aber große tänzerische und akrobatische Fähigkeiten haben.


Männerrolle “Lao Sheng” - aufrichtiger Charakter (überwiegend rot) mit langem Bart.
Ihre Handbewegung drückt Verteidigung aus.
2. Dan = Frauenrollen
Die weiblichen Rollen, sie wurden bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts ausschließlich von Männern gespielt, singen alle in sehr hohen, oft schrillen Tönen, die einem Europäer durch Mark und Bein gehen können. Gerade diese Interpretation war in früherer Zeit eine Empfehlung für die männlichen Darsteller: Derjenige, der die weibliche Rolle exzellent spielen und vor allen Dingen singen konnte, genoß allerhöchstes Ansehen. Heute werden fast alle weiblichen Rollen von Schauspielerinnen gespielt, obwohl es hier auch noch Ausnahmen gibt.

Ähnlich wie bei den männlichen Rollen gibt es hier 5 Unterteilungen:

    “Qing Vi” Sie ist die gute Frau, die Gattin oder fromme Tochter. Sie erfordert großes gesangliches Können, dafür aber wenig Akrobatik oder martialisches Auftreten. Ihr Verhalten muß untadelig sein, angefangen vom umsichtigen, vorsichtigen Gang, wobei die Beine stets nahe am Boden bleiben. Die Hände müssen immer Stellungen voll Grazie und Würde einnehmen und sind meist verschränkt. Beim Betreten der Szene hat sie immer den Kopf gesenkt; beim Verlassen der Szene nimmt sie in einer typischen Geste den rechten Ärmel hoch.

    “Hua Dan” verkörpert dagegen die Rolle des lebhaften Mädchen oder der Frau von zweifelhaftem Charakter und Benehmen. Bei ihr wird großes Gewicht auf das Spiel gelegt, die Gebärden sind von besonderer Grazie. Eine typische Haltung der Hua Dan zeigt sie, wenn sie mit äußerster Leichtigkeit die Szene durchquert, wobei die linke Hand auf der Hüfte ruht, während die Rechte ein rotes Taschentuch schwenkt. Jede ihrer Gesten muß von intensiver Vitalität erfüllt sein, von den leidenschaftlichen Blicken bis hin zu den Kopfbewegungen.

    “Cai Dan”, sie ist mit der Hua Dan verwand, zumindest was die Vitalität anbelangt. Es handelt sich jedoch häufig um eine komische Rolle, die oft den bösen Weibern vorbehalten ist. Sie geht mit großen Schritten, ihre Bewegungen sind voller Energie, in ihren Augen leuchtet ein diabolischer, böser Funke.

    “Wu Dan”, die starke, kriegerische Frau. Sie ist sehr schön, stets bereit zum Handeln und stürzt sich allenthalben ins Getümmel, indem sie auf der Bühne außerordentliche akrobatische Leistungen vollbringt.

    “Lao Dan” charakterisiert die alte Frau. Sie trippelt mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern über die Bühne. Gelegentlich stützt sie sich auf einen Stock. Freundlich und mütterlich, spiegelt sich auch in ihrem Blick das vorgerückte Alter wider.

Szene aus dem Stück “Herbstfluß”. Ein Fährmann treibt seine Späße mit einem verliebten Mädchen.
3. Jing = großes, bemaltes Gesicht.
Jing ist eine schillernde Figur. Es handelt sich im allgemeinen um abenteuerliche Helden oder um Banditen. Die Darsteller müssen von robuster und massiver Statue sein und die Gesten müssen große Würde ausstrahlen.
Die Jing-Rollen unterteilen sich ebenfalls in Interpretationsrichtungen:

    “Lao Jing” ist die zivile Rolle.

    “Wu Jing” ist die militärische Rolle. Deren Interpreten müssen sportlich durchtrainiert, z.B. gute Boxer und in den martialischen Künsten perfekt sein. Das Hauptmerkmal des Jing ist die schwere, phantastische Schminke, die ihn vor allem von Sheng und Dan unterscheidet. Einige berühmte Persönlichkeiten der Peking Oper haben streng definierte Schminkmasken, dagegen gibt es bei andern noch Spielraum für Erfindungen und die Phantasie der Darsteller. Ziel der Schminke ist es nicht, das eigenen Gesicht hervorzuheben, ganz im Gegenteil – es soll durch die Formen und Farben ersetzt werden. Nicht selten werden die z.B. die Augen durch Schminke verborgen um sie an anderer Stelle, wie etwa auf der Stirnmitte, wieder aufzumalen. Manchmal wird auch die Bemalung dazu benutzt, um ein Tier stilistisch darzustellen; etwa einen Tiger, Wolf, Schwein oder Bär.

4. Chou = komische Figuren

    Der Chou ähnelt unserem Clown. Es kann ein Mann oder eine Frau sein, ein Krieger oder ein Zivilist. Wie der Jing, so trägt auch der Chou sein bemaltes Gesicht. Sein Hauptmerkmal ist allerdings die weiß gefärbte Nase, umgeben von weiteren Zeichnungen, die oft an Schmetterlingsflügeln erinnern. Die Hauptaufgabe des Chou, ist die Unterhaltung des Publikums. Er/Sie brauchen lediglich klar und laut zu singen, aber seine Interpretation muß mit viel Humor und Sinn für Komik gewürzt sein. Selbst wenn er gerade in einer kriegerischen Handlung verwickelt ist, muß der Chou immer in der Lage sein, sein Publikum zum Lachen zu bringen.


Das Orchester
Als wichtigstes Begleitinstrument dient die zweisaitige Geige (Huqin) und fast immer mit dabei, die Kniegeige (Erhu), diverse Flöten und Pfeifen, eine Art Laute (Pipa) und zur Abrundung des Spektakels dienen Trommeln, Kastagnetten und Gong.

Wenn all diese “Zutaten” der Peking Oper vollkommen harmonisch zu den ebenfalls äußerst konzentriert dargebotenen Bewegungen und Gesten der Schauspieler zusammenpassen, dann verspricht der Abend für den Opernbesucher ein Hochgenuß zu werden.