Sonntag, 23. Juni 1985

Zwischenlandung in Islamabad und Weiterflug nach Beijing

Wir sitzen immer noch in der DC 10-30, schlafend oder halbschlafend. In die Stille hinein kommt die Durchsage des Kapitäns, daß die Maschine um 2.50 Uhr in Islamabad landen wird. Der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt inzwischen drei Stunden. Beim Verlassen des Flugzeuges schlägt uns eine drückendwarme Temperatur entgegen: Es sind 33° C ! !

Wir sind nicht begeistert, als wir hören, daß es erst in vier Stunden weitergeht. Jeder macht es sich in der Wartehalle so gut es geht bequem. Glücklicherweise ist reichlich Platz vorhanden und man kann die Beine hochlegen. Ich versuche an die frische Luft zu gehen, aber flüchte gleich wieder in die kühle Halle. Gegen 6.00 Uhr wird Tee gereicht, der zwar recht bitter schmeckt, aber herrlich belebend wirkt. Die neuen Bordkarten werden ausgegeben und manch einer versucht einen Fensterplatz an der linken Seite zu ergattern. Der schönste Teil des Fluges mit Sicht auf den Himalaya liegt vor uns.

Um 7.10 Uhr steigen wir in einer Boeing 707 in die Luft. Nach dem Frühstück fühle ich mich wieder so richtig fit, die lange Warterei ist vergessen. Ein Blick aus dem Fenster erfüllt leider nicht die Erwartungen, die wir hatten. Man sieht nur Wolken, aber ab und zu sind sie so aufgetürmt, daß man darunter eine Bergspitze vermuten könnte. Welcher ist es nun? Sollte es der Nanga Parbat sein?
Welcher Achttausender mag hier durch die Wolken schauen?
Wir sind Stunden über Wüsten und Berge geflogen.

Erst gegen Mittag wird die Sicht besser. Unter uns liegt Wüstengebiet ab und zu kann man eine Oase erkennen.
Wir werden lebhaft, als die Stewardess mitteilt, man könne Teile der chinesischen Mauer sehen. Tatsächlich! Wenn das Auge sich an die eintönige Landschaft gewöhnt hat, erkennt man ein sich dahinschlängelndes Band. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Die Uhren werden noch einmal vorgestellt, dieses Mal um drei Stunden. Wir landen um 15.54 Uhr in Peking. Wir sind in C H I N A ! ! !

Auch hier empfängt uns eine Temparatur von über 30° C. Mir fällt ein, daß Peking auf der geographischen Breite Neapels und Madrids liegt. Jetzt ist die Wärme schon erträglicher! Der Flugplatz scheint neu zu sein, es herrscht wenig Betrieb. Es riecht eigenartig, nach Bohnerwachs oder Desinfektionsmittel. An den Wänden stehen Spucknäpfe.

Wir müssen eine Erklärung für den Zoll ausfüllen über mitgeführte Devisen und Wertgegenstände. Die Koffer sind inzwischen auch angekommen, sie werden nicht kontrolliert.

Draußen erwartet uns ein junger Chinese. Es ist der Betreuer, der uns durch das Land begleiten wird. Herr Zhu, so ist sein Name, begrüßt uns in sehr gutem Deutsch. Er lächelt häufig und wir finden ihn alle gleich sympathisch. Der Flughafen liegt ungefähr 40 km außerhalb Pekings, erklärt uns Herr Zhu, wir würden jetzt erst einmal in die Stadt zum Essen fahren. Daraufhin erhebt sich ein großer Protest von unserer Seite. Wir sind seit 28 Stunden nicht aus unseren Kleidern gekommen und wollen erst ins Hotel um uns frisch zu machen. Hunger haben wir sowieso nicht, da uns das späte Mittagessen vom Flugzeug noch im Magen liegt Herr Zhu hört sich unseren Protest lächelnd an und sagt: "Dann wollen wir mal sehen, wie der Hase läuft!" Alles lacht, und wir fahren los.

Die Straße ist ziemlich breit und schnurgerade. Wir fahren an Obstplantagen und drei- bis vierstöckigen Häusern vorbei. Die Landschaft könnte auch irgendwo in Deutschland so ähnlich aussehen. Je näher wir der Stadt kommen, desto mehr Radfahrer bewegen sich auf den Straßen. Sie fahren neben unserer Fahrbahn auf besonders breiten Wegen. Die Fahrräder sind alle blitzend schwarz lackiert und haben kein Licht. "Wir brauchen kein Licht," sagt Herr Zhu, "Unsere Straßen sind beleuchtet." Wir staunen. Als wir einen überfüllten Bus überholen, in den wirklich niemand mehr paßt, staunen wir noch mehr. Wir halten an einem Park, in dem der Sonnentempel liegt. Dort wollen wir essen. Im Park ist viel Betrieb. Die Chinesen gehen mit ihren Kindern spa- zieren oder ruhen sich auf den Bänken aus. Wir erregen großes Aufsehen, man bleibt stehen und schaut uns an. Unser Interesse erweckt ein Schattenboxer unter den Bäumen. Wir sind fasziniert von seinen langsamen, gleitenden Bewegungen.


Gegessen wurde immer an großen runden Tischen, und natürlich mit Stäbchen!
Im Restaurant sind für uns zwei große, runde Tische, für je zwölf Personen, gedeckt. In der Mitte befindet sich eine Drehplatte auf der schon Bier und Sprudel stehen. Gan-be, na dann Prost! Sind die Tische so hoch, oder die Stühle so niedrig? Wie können hier nur die Chinesen gut sitzen, die doch viel kleiner sind als wir? Das Essen schmeckt uns nun doch. Es gibt insgesamt sieben oder acht Gänge. Trotz der Müdigkeit klappt das Essen mit den Stäbchen gut.

Wir fahren nun mit dem Bus die Chaoyangmen Avenue entlang und biegen am alten Observatorium in die Chang'an Avenue, die große, breite Ost-West-Straße. Sie ist über 40 km lang und 50 m breit. Vorbei geht's am Freundschaftsladen und am Peking-Hotel. Die Menge der Fahrradfahrer hat sich noch verstärkt. Am eindrucksvollsten sieht es aus, wenn eine Ampel auf grün schaltet und alles startet. Ein Vorurteil muß man jetzt schon über Bord werfen: Die "blauen Ameisen" gibt es hier nicht. Besonders die Kinder sind sehr farbig gekleidet.

Plötzlich erreichen wir einen riesengroßen Platz und jetzt habe ich wirklich den Eindruck in China zu sein! Es ist der Tian-An-Men-Platz! Rechts vor uns liegt das Tor des Himmlischen Friedens. In der Mitte über dem Tor befindet sich ein großes Bild von Mao, rechts und links daneben weiße, chinesische Schriftzeichen auf rotem Grund.

Unser Hotel ist das Da-Du-Hotel. Wir wohnen im 7. Stock. Ein Fahrstuhl bringt uns hoch. Die Koffer stehen schon auf dem Korridor. Unser Zimmer ist angenehm kühl, die Klimaanlage läuft. Auf dem Tischchen stehen zwei Teetassen mit Deckel und eine große Thermoskanne mit Blumendekor. Wir haben Durst und gießen Tee auf. Er riecht nach Jasminblüte. Die Teeblätter bleiben in der Tasse, da kann man noch einen zweiten Aufguß machen.

Nach dem Duschen tauschen wir unten in der Hotelhalle D-Mark in Yuan um. Wir treffen noch einige aus unserer Gruppe und machen noch einen Bummel auf der Straße vor dem Hotel. Es ist sehr schnell dunkel geworden, die Straßenbeleuchtung ist mäßig. Trotzdem sitzen junge Menschen unter den Lampen und lesen, spielen Karten oder unterhalten sich. Andere haben sich einen Stuhl mit- gebracht oder sitzen auf der Mauer. Gegenüber wird auf einer Baustelle, die hell beleuchtet ist, gearbeitet. Wie Schatten rollen die unbeleuchteten Fahrräder an uns vorbei, kaum Autogeräusche, ab und zu hört man eine Fahrradklingel.

Zurück im Hotelzimmer gehen wir sofort ins Bett. Beim Einschlafen denke ich noch: In Deutschland ist jetzt erst Nachmittag - aber das ist ja S00 weit weg! ! !

Gisela Brand