Dienstag, 25. Juni 1985

Besuch der Großen Mauer und der Ming-Gräber

Unser heutiges Ziel ist die Besichtigung der Großen Mauer. Die Fahrt in unserem gut klimatisierten Bus dauert ca. 1 1/2 Stunde. Die Landschaft ist sehr lieblich und abwechslungsreich, das Smaragdgrün der Reisfelder, die jeweils von Bohnenpflanzen begrenzt werden, tut den Augen sehr wohl. Unterwegs erzählt unser chinesischer Führer, Herr Zhu, ein wenig über das Leben der Arbeiter im heutigen China. Der Lohn beträgt monatl. bei 48 Std. Arbeit 60-70 Yuan. Dazu kommen Prämien von 50-100 Yuan. Da die Lebensmittelpreise gestiegen sind, bekommt jeder Bürger vom Staat einen Zuschlag. Die Lehrer erhalten fast dasselbe wie ein Arbeiter. Ein Professor erhält 200 Yuan. Es gibt 8 Lohnstufen. Der Kindergarten dauert 3 Jahre, die Schule 6. 2 weitere Jahre berechtigen zum Besuch einer Ober- der Berufsschule. Ein Studium dauert 4 Jahre. Wer nicht sofort Arbeit findet, kann 1 Jahr im Kollektiv arbeiten. Ein Fahrrad, das Massenverkehrsmittel, kostet, je nach Qualität, ca. 150 Yuan. Die Miete für eine Wohnung für 4 Personen monatl. 90 Yuan, ohne Steuern. Bei Krankheit bezahlt die Einheit (Straßenkomitee). Angestellte und Lehrer erhalten 7 Feiertage im Jahr, bei Trennung von den Eltern 24 freie Tage. Alle 4 Jahre zusätzlich 12 Tage. Wer mehr als 800 Yuan monatlich verdient, muß Steuern zahlen. Wehrdienst ist Pflicht. 18-20 jährige erhalten Taschengeld, bei längerer Dienstdauer mehr. In diesem Jahr sind 1 Million weniger Soldaten verpflichtet. Privater Autokauf ist möglich.

Die Bauern haben freies Land, können sich auch spezialisieren z.B. Fischfang, Transportwesen etc. Seit 5 Jahren ist der Bauer wohlhabender als der Arbeiter und kann es zu einem gewissen Wohlstand bringen. Jährlicher Verdienst bis ca. 10.000 Yuan. Dabei muß er die Hälfte zinslos an arme Bauern abgeben. Die Gemeinde ist keine Volkskommune mehr. Die Familienplanung, nur 1 Kind, ist gesetzlich, bei Verstoß Bestrafung. Der Junge darf mit 22, das Mädchen mit 20 Jahren heiraten. China hat einen Oberschuß von 130 Millionen Männern. Das Essen wird in der Kooperative in Kantinen gegen Bezahlung verabreicht, abends wird zu Hause gekocht. Eine Frau hat bei einem Baby 150 Tage frei. 70% aller Frauen sind 1 1/2 Jahre zu Hause. Männer können sich mit 60 Jahren, Frauen mit 55 pensionieren lassen. Sie erhalten 70~80% ihres Lohnes, wer über 30 Jahre gearbeitet hat 100%.

Allmählich wird die Landschaft hügeliger, wir nähern uns dem Gebirge. Plötzlich sehen wir die ca. 5000 km lange aus dem Jahre 221-206 v.Chr. errichtete Mauer vor uns, die sich steil den Berg hinauf windet, unterbrochen von einzelnen Wehrtürmen. Sie ist so breit, daß 4 Pferde nebeneinander hinauf reiten können. Ich erklimme mit den anderen die Steigung bis zum 1.Wehrturm, von dem man einen herrlichen Blick über das weite Land hat.

Anmerkung eines Mitreisenden: Für mich ging hier ein Kindheitstraum in Erfüllung! Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich auf der Grossen Chinesischen Mauer! Davon habe ich getäumt, seit ich als Kind die Reiseabenteuer des Autors E.A. Johann verschlungen habe. Es ist ein erhebnder Augenblick für mich - es kribbelt im Bauch!

Am Fuß der Mauer hat sich ein lebhafter Andenkenhandel entwickelt. Die grünen Mao-Mützen mit dem roten Stern versucht man den Touristen anzudrehen, sie werden ausverkauft und bald vom Markt verschwunden sein. Nichts soll mehr an die Zeit der Kulturrevolution erinnern. Um 12.00 Uhr verlassen wir auf kurvenreicher Straße mit vielen Felsdurchfahrten das Gebirge, wobei die wenigen Autos und Lastwagen das auf der Straße ausgebreitete Korn zermahlen. An Pfirsichplantagen vorbei erreichen wir unser Restaurant zum Essen. An 3 runden Tischen zu je 8 Personen ist gedeckt. Wir essen mit Stäbchen. Vorgerichte sind kaltes Fleisch, Tomaten, Erdnüsse etc. Dann folgen mindestens 6 Platten mit Huhn, Fisch, süßsaurem Schweinefleisch, Sojabohnengemüse, grüne Bohnen mit Fleisch, Mangold, Kürbis und Gurken gemischt und einer großen Schüssel Reis, sowie Fleischklößchen in pikanter Soße. Das Huhn ist mit "Kopf und Kragen" in kleine Stücke gehackt und wegen der Knochensplitter kaum zu essen, dasselbe gilt der Gräten wegen für den an sich sehr wohlschmeckenden Fisch.

Wir trinken Bier, Limonade, und Laoshan-Mineralwasser, das aber nicht Überall vorhanden ist. Die Batterie der Flaschen läßt sich sehen, denn der Durst ist groß. Nach dem Essen geht es weiter zu den Ming-Gräbern. Diese sind per Zufall durch die Inschrift auf einem Stein von einem Bauern gefunden worden. Wir besichtigen die Begräbnisstelle des 13.Kaisers der Ming-Dynastie und seiner Kaiserin 5 Stockwerke unter der Erde. Auf der Treppe stieß Herr Muth aus Versehen eine Japanerin an, verbeugte sich entschuldigend 2 mal und meinte: "Sind 2 Verbeugungen als Entschuldigung genung??"

Die Sarkophage stehen in einem tunnelartigen, hohen Gewölbe. Die braun lackierten, kistenförmigen Beigaben wirken etwas unecht. Am Eingang des Parkes sind 3 große Pappfiguren ohne Kopf postiert. Auf einem Tritt dahin- ter kann jeder der Figur seinen Kopf leihen. Herr Klingsiek zeigte sich zu unserem Spaß als Ritter Georg mit Kopfschmuck, was sehr komisch aussah.

Dann passieren wir die Geisterallee Shen Tao, wo heute an einer von Weiden bestandenen Straße monolithische Figuren von Beamten, Kriegern und Ministern, sowie Löwen, Kamelen, Elefanten und Fabeltieren stehen, die so hoch sind, daß ich sie nicht erklimmen konnte. In Pekling zurück, besuchen wir noch vor dem Essen einen der Vielen Freundschaftsläden, in denen die Preise staatlich festgesetzt sind. Wir suchen uns Stempel aus, auf denen unser Name in Chinesisch und Deutsch eingraviert wird. Dazu gibt es runde, kleine und große Döschen mit Stempelfarbe. Wohl das beliebteste Mitbringsel aller Touristen. Nach dem Essen mischen wir uns unter das Volk und gehen in ein 3 stöckiges Warenhaus immer auf der Suche nach etwas Besonderem. Die Chinesen sind sehr freundlich, die Bedienung nett und zuvorkommend. Mit einem letzten Glas Bier im Garten vor dem Supermarkt beschließen wir den Tag und gehen müde zu Bett.

Brigitte Creydt