Mittwoch, 26. Juni 1985

Besuch im Lama-Kloster und Abreise mit Hindernissen

Donnerstag, 27. Juni 1985

Unser Wecker klingelt um 7.00 Uhr. Nach der üblichen Zeremonie am Morgen wird der Koffer gepackt und vor die Tür zum Abholen bereitgestellt. Nach dem Frühstück um 8.00 Uhr (wie immer mit zwei Eiern) verlassen wir das Dadu-Hotel.

Im Bus fragt Herr Zhu, ob auch niemand etwas vergessen hat. Ein 24-stimmiges Nein erschallt. Darauf hat unser Begleiter nur gewartet. Er holt einen Mantel und übergibt ihn Frau Schwarz. "Oh, den habe ich im Schrank hängengelassen." In China kann man nichts zurücklassen!

Durch den dichten Berufsverkehr schleichen wir in Richtung Lama-Kloster. Im Vorgarten des Tempels finden zwei Kinder die Aufmerksamkeit unserer Gruppe. Sie werden von allen Seiten fotografiert, denn sie haben Hosen mit Schlitz an. Die Kinder gucken etwas verstört bei soviel Fotografierwut, doch die Mütter lächeln stolz.

Herr Zhu zeigt uns in einer halbstündigen Führung die verschiedenen Hallen der Tempelanlage. In der "Halle der Ewigen Harmonie" sehen wir drei Statuen des Buddha, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellend. Am Ende des fünften Tempelhofes steht der "Pavillon des Zehntausendfachen Glücks". In ihm steht eine 25 m hohe Statue des Maitreya, die aus einem einzigen Zedernbaum geschnitzt sein soll. In der anschließenden Stunde Freizeit strömen wir aus, um noch einmal in Ruhe alles anzusehen und zu fotografieren. In einem Shop gibt es ein Colagetränk, das sich bei genauem Hinsehen und Schmecken als chinesisches Produkt entpuppt.

Herr Zhu hat inzwischen einen Fahrradhandel entdeckt und bringt einige der berühmten Klingeln für 2,60 Yuan an den Mann oder an die Frau. Er nimmt Bestellungen für den Rest der Gruppe entgegen. Zum Mittagessen fahren wir zum Beihai-Park. Bei der heutigen Mahlzeit entwickelt sich die Suppe zum Renner des Tages. Der Weg zur Toilette führt durch die Küche und das Vorratslager des Restaurants: Die erste Toilette ohne Türen!

Nach dem üblichen Bierkonsum gehen wir wieder hinaus in die Hitze und sehen uns noch die Gärten des Kaisers, Malstube und Musikzimmer an. Am See entlang gehend, kommen wir auf die Idee, mit dem Boot zu einer Insel hinüberzufahren, die von einer Pagode "gekrönt" ist. Herr Zhu verläßt uns und verspricht, mit dem Bus auf der Südseite der Insel, die durch zwei Brücken mit dem Festland verbunden ist, auf uns zu warten. Wir gehen zum "Bootsanleger und versuchen, dem Kartenverkäufer unsere Absicht klar zu machen. Georg schreibt die Zahl "24" auf einen Zettel, zeigt auf uns und, oh Wunder, wir bekommen die Billets - für insgesamt 1,20 Yuan. Das Boot, das am Anleger liegt, ist schon besetzt, meinen wir, so daß wir auf das nächste warten wollen. Doch es wird uns klargemacht, daß dies erst in einer Stunde fährt. An Bord sind noch 24 Stehplätze für uns frei, na gut, bei dem Preis kann man nicht sitzen. Nach fünf Minuten legen wir bereits wieder an und machen uns auf zum Aufstieg zur Pagode.

Von oben genießen wir den Blick auf die Kaiserstadt. Dem Aufstieg folgt der Abstieg, wir überqueren eine Brücke und finden natürlich sofort unseren Bus. Alle sind froh, aus der Mittagshitze in das gekühlte Fahrzeug zu kommen. Herr Zhu hat Mitleid mit unseren durstigen Seelen, und er überrascht uns mit Riesenportionen Eis. Sollen wir oder sollen wir nicht, das ist hier die Frage. Nach erstem zaghaftem Probieren schlecken wir alles weg. Vorsichtshalber besprechen wir gleich den Katastrophenfall. Georg schlägt vor, daß die Toilettenbenutzung nach der Nummer des Sammelvisums geregelt werden soll. Er hat gut reden, er hat die Nr. 1. Sigrid Müller weiß die Lösung: "Dann müssen wir eben alle offene Hosen kaufen!"

Wir fahren für eine Stunde in die sogenannten Antiquitätenstraßen, kaufen Rollbilder, Teppiche, Pinsel und andere Souvenirs. Etwas wie Abschiedsstimmung kommt auf, als es noch einmal zum Tian-An-Men-Platz geht. Artur Hollmann fotografiert mit seiner Sofortbildkamera unseren Busfahrer und schenkt ihm das Foto. Während sich das Bild vor seinen Augen entwickelt, strömen die die Menschen zusammen, um sich das mit anzusehen. Das nötigt die Polizei dazu einzuschreiten und die Leute zum Weitergehen zu bewegen.

Die Straßen, die zum Flughafen führen, sind, so scheint es, für uns geflaggt. Doch wir werden eines Besseren belehrt, als alle Fahrzeuge anhalten müssen, und ein Konvoi mit ungefähr 10 Limousinen mit Staatsgästen an uns vorbeifährt. Um 17.00 Uhr sitzen wir im unpersönlichen Flughafenrestaurant zum Abendessen. Das Essen schmeckt nicht besonders, und es gibt zum Abgewöhnen: Neutralisationssuppe (Stufe 0 auf der nach oben begrenzten - 10er-Geschmacksskala). Zum Einchecken begeben wir uns pünktlich zum Flughafenschalter, doch der Flug ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Unsere ursprüngliche Maschine (Start 15.35 Uhr) mußte wegen eines Gewitters und Taifuns in Xian zurück und zwischenlanden. Wir können erst fliegen, wenn dieses Flugzeug in Xian gelandet und nach Beijing zurückgekehrt ist. Nach zwei Stunden in der Wartehalle können wir durch die Kontrollen zur Abflughalle gehen. Doch hier heißt es weiter warten. Um 21.00 Uhr organisiert Herr Zhu Cola zur Erfrischung. Er ist doch der Beste! Die Zeit vertreiben wir uns mit Karten- und Würfelspielen, Lesen, Schreiben und Schlafen. Zum Glück befinden sich einige Flaschen im Handgepäck, die für die Gesundheit getrunken werden.

Endlich kommt das Zeichen zum Aufbruch. Um 23.25 Uhr startet unsere Maschine, eine Boing 737, in Richtung Xian - 1050 km für 132 Yuan.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, scheint die Devise der CAAC zu sein. Die Stewardessen verteilen Fächer, mehrjährige Mondkalender als Anhänger, Kaubonbons und natürlich das Abendessen mit Sandwich und Kuchen, das in unserem Fall eher als Mitternachtsbüffet zu bezeichnen ist.

24.00 Uhr: Das Flugzeug fliegt weiter durch die dunkle Nacht

Dolores Engelking
Erich Deppendorf